von Jan-Philipp Sendker
Es gibt sicher Bücher, die mich heiterer und leichter zurückliessen, als es das Sendkers Buch über die junge Finanzbuchhalterin Akiko getan hat – und trotz wenig Handlung, der stillen und ruhigen Stimmung und der teilweise tristen Gemütslagen der Hauptpersonen fesselt das Buch und eröffnet Einblicke in eine mir gänzlich fremde Welt.
In Tokio begegnet Akiko in tiefer Nacht ihrem Schulfreund Kento. Sie nähern und öffnen sich zaghaft. Kento ist ein Hikikomori, ein Mensch, der sich total aus allen sozialen Beziehungen (Familie, Beruf und Freundeskreis) ausklinkt und meist in den eigenen vier Wänden haust. Klar wird dies Akiko, als Kento auf die Frage: «Ist das dein erster Satz heute?» mit: «Das ist mein erster Satz in diesem Jahr!» antwortet.
Akikos engste Freundin Naoko erzählt von ihrer Hochzeit mit sich selbst. Sie wehrt sich damit gegen die Stigmatisierung der ledigen Frauen und möchte das Leben einer verheirateten Frau führen, ohne aber an der Seite eines Partners oder einer Partnerin leben zu müssen. Die Sologamie ist ein populäres Lebensmodell in Japan.
In der Hinterlassenschaft ihrer Mutter findet Akiko die Quittungen für das Engagement eines Miet-Vaters. Jahrelang hat Akikos Mutter einen Mann gemietet, der nach der Scheidung Akikos Vater spielte. Sie entwickelte durchaus so etwas wie Zuneigung zu diesem «Vater» und stürzt mit der Enthüllung in eine tiefe Lebenskrise. Sie traut ihrem Bild über sich selbst nicht mehr, zweifelt an ihrer Identität und macht sich auf deren Suche. Obwohl ihr die Formel «shikata ga nai» (nichts zu machen / nichts zu ändern) etwas Leichtigkeit verschafft, versinkt Akiko immer wieder in grüblerischen Selbstzweifeln und einer betäubenden Einsamkeit.
«Akikos stilles Glück» führt uns durch Tiefen des Lebens und zeigt auf, wie darin in homöopathischen Dosen auch immer wieder Momente des Glücks aufscheinen. Neben den uns fremden Hikikomoris, der Sologamie und der Miet-Väter begegnen wir der uns bestens bekannten Einsamkeit, den bohrenden Fragen nach Sinn und Identität und dem Glück der Liebe zu einem anderen Menschen.
Christoph Rüegg-Gulde